Im Gespräch mit der Natur

Per Bak Jensens Motive scheinen breitgefächert und verschieden zu sein. Nimmt man sich jedoch Zeit, eröffnet sich eine zusammenhängende Welt. Wenke Röschmann, Praktikantin beim Museum Kunst der Westküste, hat mit dem Künstler gesprochen – über das, was seine Werke verbindet, seine Jugendzeit, und Kunst, die zurückblickt.

 

 

Fangen wir am Anfang an. Du hast schon mit zehn Jahren fotografiert. Gab es einen Punkt, an dem dir klar wurde, dass du deine Lebensaufgabe gefunden hast?

 

Damals hatte ich noch keine Ahnung von irgendetwas. Ich war das einzige Kind in einer Familie in Kopenhagen, in einer sehr armen Gegend. Das bedeutet, dass ich – ohne Geschwister – sehr allein war. Aber ich war nie einsam. Ich war einfach ein Kind, das seinen eigenen Weg gehen wollte. Ich hatte viele Freunde, aber ich hatte keine engen Freunde. Als ich in die Schule ging, hat das gut funktioniert. Aber es war nicht mein Wunsch, eine Schulbildung zu haben. Ich war mehr daran interessiert, mit dem Zug zum Strand zu fahren und einfach herumzulaufen und mir Dinge anzusehen.

 

In meinen frühen Büchern habe ich sehr viel selbst geschrieben, auch über dieses Gefühl, allein auf der Welt zu sein und mich wohl damit zu fühlen und diese Gesellschaft nicht zu brauchen. Ich muss kein Pionier sein. Es gibt eine Menge Pioniere und sehr viele, die ein Pionier sein wollen. Wir brauchen nicht noch einen.

 

Die meisten deiner Fotografien haben bestimmte Titel. Wie sieht der Prozess vom Werk bis hin zum Titel aus?

 

Normalerweise mache ich nicht viele Aufnahmen. Ich war im März auf Föhr und habe drei Bilder gemacht. Das sind die meisten Bilder, die ich je in vier oder fünf Tagen gemacht habe.

 

Ich gehe einfach herum und schaue, ob mich etwas anschaut. Ich weiß, es hört sich verrückt an, aber du kannst es selbst ausprobieren, und du wirst feststellen, dass die Dinge um dich herum dich anschauen. Die Welt schaut uns an, weil sie darauf wartet, dass wir etwas tun. Ich weiß nicht, was es ist, aber es gibt etwas, das um uns herum ist. Wir können es nicht sehen, aber wir können es fühlen. Und manchmal können wir es sehr stark spüren. Wenn ich es sehr stark spüre, mache ich das Foto.

 

Nachdem das Foto gemacht wurde, lege ich es weg und schaue es nicht mehr an, bis etwa zwei oder drei Wochen vergangen sind.

 

Um ein bisschen Abstand zu gewinnen.

 

Ja, denn wenn ich ein paar Wochen warte, bin ich ein anderer Mensch. Ich habe mich entwickelt, indem ich rückwärts oder vorwärts oder in eine ganz andere Richtung gegangen bin. Dann suche ich nach einem Eingang zu dem Bild. Jedes Bild hat einen Eingang – das kann das Erste sein, was man sieht.

 

Nehmen wir an, wir haben ein Foto von einem weißen Tisch und auf dem Tisch steht eine Blume. Dann fällt uns der dunkle Fleck auf der weißen Fläche ins Auge. Wir würden sagen, dass diese Blume in dem schwarzen Topf der Eingang zu diesem Foto ist. Und was auch immer die Tür ist, der Eingang, gibt dem Foto seinen Namen. Es könnte also zum Beispiel Blumen heißen.

 

Auf diese Weise können die Leute den Zugang zu der Fotografie finden.

 

 Ja. Manchmal funktioniert es, aber nicht immer. Nichts funktioniert die ganze Zeit. Dann habe ich einfach den Titel mit dem Datum oder dem Ort der Aufnahme versehen. Ist es ein Eisberg, könnte der Name Eisberg lauten. Es kann aber auch Westküste von Grönland sein.

 

Per Bak Jensen, Disko Bay, 2007, © Galleri Bo Bjerggaard and the artist, VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Lukas Spörl

 

Einige Leute haben viele meiner Ausstellungen und Bücher gesehen und haben die Werke zusammengezählt. Es sind tatsächlich 500 verschiedene Fotografien mit 500 verschiedenen Titeln.

 

Das ist eine Menge an Titeln.

 

Ja, aber es hat mich mehr als 60 Jahre gekostet, diese 500 zu erstellen. Das sind etwa acht Fotos pro Jahr.

 

In der Ausstellung sind neben deinen Fotografien auch Gedichte von dir zu sehen. Wie hängt beides zusammen?

 

Was ich geschrieben habe, ob für die Wände und oder meine Kataloge, ist das, was ich fühle, wenn ich hinausgehe, um Fotos zu machen. Als Menschen haben wir die ganze Zeit Gedanken. Wir denken nach. Wir denken darüber nach, wo wir sind, was wir fühlen und was uns in unserem Leben begegnet.

 

Wenn du zum Beispiel diesen Baum betrachtest. Es ist so einfach, sich beizubringen zu sehen, dass er ein lebendiges Wesen ist. Ein Baum hat grüne Blätter, die nach einer Weile gelb werden und abfallen. Nach 200 Jahren stirbt der ganze Baum. Er ist etwas Lebendiges, aber so ist es auch mit einem Tisch, er hat auch ein Leben.

 

Vielleicht stammt dieser Tisch von einem Baum und vielleicht wird dieser Tisch – wenn er verschwindet – nicht einfach verschwinden. Er wird zu etwas anderem werden. Das ist der Grund, warum ich darüber spreche. Alles um uns herum verschwindet langsam, aber gleichzeitig wird alles neu geboren. Und wenn man beginnt, die Bäume so zu sehen, werden sie zurückschauen – der Tisch schaut zurück.

 

Du wirst anfangen, darüber nachzudenken, was der Sinn deines Lebens ist. Warum bin ich hier? Was soll ich mit meinem Leben anfangen? Und wenn man sich darauf konzentrieren kann, dann hat man einen Freund in den Bäumen und einen Freund in den Tischen, und man wird ein Teil von allem.

 

Per Bak Jensen, Drømmen / The Dream, 2012, © Galleri Bo Bjerggaard and the artist, VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: MKdW

 

Es hört sich an, als ob das die Weisheiten eines Meditationstypen wären, aber es hat nichts mit Meditation zu tun. Wenn Menschen diesen Weg durch Meditation finden und so dieses Wissen erlangen können – von mir aus. Es spielt keine Rolle. Denn wenn man es gefunden hat, ist es nicht nur etwas, das man mag oder das man bevorzugt, sondern es ist etwas, das man sein wird.

 

Man wird so sein, wie man denkt. Wenn man schlecht denkt, wird man schlecht sein. Wenn man positiv denkt, wird man positiv sein. Es geht noch tiefer als das, aber wenn man über all das nachdenkt, kommen manchmal die Worte zu einem. Ich weiß nicht, woher.

 

Du hast lange Zeit an der Königlichen Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen unterrichtet. Wie hat der Kontakt zu Studierenden deine Kunst und deine Wahrnehmung von Kunst beeinflusst?

 

Ich war etwa 30 Jahre lang Lehrer, also eine lange Zeit. Aber ich habe mehr von den Studierenden gelernt, als sie jemals von mir hätten lernen können. Die Studierenden haben vielleicht, aber nur vielleicht, etwas über Kunst und Fotografie und Technik gelernt. Ich hingegen habe etwas über mich selbst gelernt. Ich bin sehr dankbar für den Unterricht, den ich gegeben habe, denn ich habe eine andere Seite von mir selbst gesehen. Ich habe gelernt, dass ich ein gewisses Temperament habe, das mich zu einem anderen Menschen machen kann, und ich konnte erkennen, dass das nicht gut ist. Ich habe mich also verändert, weil ich von den Studierenden unterrichtet wurde.

 

Man kann oft lesen, dass du deine Fotos nicht bearbeitest, wie kommt das?

 

Das stimmt so nicht ganz. Man kann so viele Dinge mit einem Foto machen. Aber was ich normalerweise mache, wenn ich anfange, mit einer Datei zu arbeiten, ist – heute ist es eine digitale Datei – dass ich schaue, ob etwas mit der Farbe nicht stimmt. Dann wähle ich die automatische Farbkorrektur aus, aber fast immer funktioniert das nicht. Ich entscheide also selbst, ob ich es kühler oder wärmer haben möchte oder verändere den Kontrast. Manchmal schneide ich die Fotos auch ein bisschen zu, um sie in verschiedenen Formen zu haben, wenn sie an der gleichen Wand hängen. Auch Staub auf einem Foto entferne ich natürlich.

 

Aber das war's. Ich manipuliere die Bilder nie, dann würden sie fantastisch, fast perfekt werden.

 

Aber das ist nicht der Sinn der Sache.

 

Nein. Nun, vielleicht ist es ein Sinn für die Leute, die es tun. Dann muss man die fragen. Aber ich für meinen Teil will nicht auf dem Gipfel des Berges stehen [in Anlehnung an das Gemälde Wanderer über dem Nebelmeer von Caspar David Friedrich], ich will lieber im Tal bei den anderen Leuten sein.

 

Natürlich sind solche Werke auch für mich interessant zu sehen, weil ich mir dann bewusster und klarer darüber bin, was ich nicht tue. Vielleicht kann mich das auf meine eigene Weise stärker machen. Ich bin somit dankbar, dass es jemanden gibt, der es anders macht als ich.

 

Es gibt offensichtlich einen großen Unterschied zwischen deinen früheren Fotos, die du etwa in New York oder Phoenix gemacht hast, und den heutigen Landschaftsfotografien. Ab wann hast du dich mehr mit der Natur beschäftigt und wie kam es dazu?

 

Ich verstehe, was du sagst, aber so arbeite ich nicht. Ich habe keine klare und eindeutige Vorstellung im Kopf. Ich habe nicht irgendwann mit Schwarz-Weiß-Fotografie angefangen, dann mit Landschaftsfotografie und bin dann zur Farbfotografie und Stadtansichten übergegangen und danach wieder zur Landschaft.

 

Per Bak Jensen

Per Bak Jensen, Skygge - Dickson ford, Shadow - Dickson ford, 2011, © Galleri Bo Bjerggaard and the artist, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

 

Ich bewege mich die ganze Zeit vorwärts und rückwärts. Ich bin mir sicher, dass es einen roten Faden in all meinen Fotografien gibt – aber es ist keine gerade Linie entstanden, weil ich mich von einer Richtung in eine andere bewegt habe. Ich kann heute immer noch rausgehen und Schwarz-Weiß-Fotografien machen oder Fotos von einer Stadtlandschaft, einer Meereslandschaft oder einer anderen beliebigen Landschaft.

 

Für mich ist etwas anderes wichtig, es ist das, was mich anschaut.

 

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast.

 

Ausstellung Per Bak Jensen - Humming Earth, Foto: Lukas Spörl