Günter Zachariasen Atmen, malen, meditieren

Aktuell zeigt das Museum Kunst der Westküste insgesamt 60 Gemälde von Günter Zachariasen (* 1937), einem Maler, der seit Jahrzehnten auf einem Hof außerhalb dörflicher Bebauung unweit der nordfriesischen Küste wohnt: Sie alle zeigen Licht und Farbe – ganz ausschließlich.

 

 

Wie gut vertragen sich ein kräftig pulsierendes Rot und ein von Zachariasen eher selten gewähltes, noch dazu fast neonfarbig schimmerndes Gelb? Nur zwei Wände auseinanderhängend, das Gelbe als Teil einer Reihe, konkurrieren sie auf den ersten Blick um meine Aufmerksamkeit.

 

 

Entstehen aus der Kombination dieser unterschiedlichen Farblichtzentren also durchaus Spannungen, sind die Bilder für sich genommen harmonisch und ruhig. Eine Ahnung davon vermittelt das ebenfalls zu Beginn der Ausstellung platzierte große Gemälde im Quadratformat, das der Maler häufig wählt: ein farbiges Rauschen sphärischer blauer und grauer sowie rosaroter Töne, die durch zarteste Helldunkelabstufungen miteinander verbunden die Leinwand fluten.

 

 

Augenblicklich weiß ich nicht, was ich sehe – abstrakte Kunst, könnte man sagen. Zur gleichen Zeit ist mir der Anblick jedoch vertraut, auf sinnlicher Ebene gehen wir gleich eine Beziehung ein, das lichterfüllte Ölgemälde und ich: Das fein ausbalancierte Spiel der Farbtöne erzeugt eine räumliche Tiefe, entfaltet eine seltsam entgrenzende Atmosphäre, wie man sie vielleicht erlebt hat im farbengetränkten Dämmerlicht der untergehenden Sonne – entrückt und intensiv zugleich. Ich denke, auch Zachariasen hat solche Erfahrungen in der Natur gemacht, aber dazu kommt bei ihm noch etwas anderes. Erst einmal gehe ich weiter.

 

Es kommt selten vor, dass zwei Werke so unmittelbar aufeinander reagieren wie die beiden kleinen, zwischen Graublau und Rotbraun changierenden Querformate, die zusammengedacht ein größeres Ganzes ergeben – oder ist es anders, und beide Bilder stoßen sich ab, fliehen auseinander? Es kommt auf den Blickwinkel an.

 

 

Sich abstoßen, das klingt anstrengend, und so sehen die Werke von Günter Zachariasen überhaupt nicht aus – auch wenn bis zu 25 oder sogar 30 meist ganz trocken aufgetragene Farbschichten in jedem Bild geduldig übereinander­gelegt und sorgsam verschliffen werden. Am Ende sind die Spuren des Pinsels nahezu verschwunden, als habe sie die dunstige Lichtigkeit der Werke absorbiert.

 

Einen Eindruck von der körperlichen Arbeit vermitteln hingegen die zwölf schwarzen Tuschfederzeichnungen, die wir ebenfalls präsentieren dürfen: In seinen Ölgemälden stellt der Künstler kontinuierliche Verläufe zwischen Farben und Farbtönen her, die er in unterschiedlicher Helligkeit einsetzt. In den Zeichnungen werden entsprechend graduelle Übergänge zwischen stark (also dunkleren) und weniger stark verdichteten (also helleren) schwarzen Linienbündeln geschaffen. Deutlicher sichtbar wird hier auch die Nähe zu der US-amerikanischen Künstlerin Agnes Martin (1912–2004), eine Pionierin der abstrakten Malerei, die Zachariasen bewundert und die ihn inspiriert hat.

 

 

Ähnlich langwierig wie der materielle Entstehungsprozess jedes einzelnen Bildes war der mentale Weg des Künstlers hin zu einer Malerei, die nichts mehr zeigt als Licht und Farbe. Blättere ich durch ältere Kataloge, sehe ich durchaus figürliche Kompositionen, auch sie sind jedoch weder konkret oder eindeutig: Aus den naturhaft amorphen Formen und surrealistischen Szenen, traumgleichen Begegnungen etwa seltsamer Kreaturen, lässt sich der Versuch erahnen, hinter die Welt der sichtbaren Dinge vorzustoßen. Es gibt dann auch abstrakte, aber expressive Kompositionen, bis sich Zachariasen schließlich freigemacht hat von allen Inhalten, Metaphern oder Symbolen, und auch von impulsiven Gesten.

 

Was bleibt, sind die Farbe, das Licht und der atmosphärische Raum, den uns die Bilder vorführen. Ich bleibe stehen und sehe, seltsam berührt, aufmerksam, doch ohne Fokus. Der Blick findet keinen Halt, pendelt hin und her, wird ruhig – wird weit. In diesem Moment komme ich nicht allein den Bildern, sondern auch dem Maler selbst spürbar näher. So wie dieser durch die vertraute Pinselführung – das Malen vergleicht Zachariasen ganz selbstverständlich mit der Atmung – in einen mentalen Schwebezustand gerät, kann ich ganz in der Betrachtung seiner meditativen Bilder aufgehen. Doch woher kommt diese Ruhe?

 

Jahrelang hat sich der Maler mit fernöstlicher Philosophie und Religion auseinandergesetzt, mit dem Zen-Buddhismus. Dieser lehrt, für den Moment alle Gedanken loszulassen und sich ganz im Hier und Jetzt zu verorten. Also: nicht an die nächste Tat denken oder an die davor oder überhaupt an irgendwas, sondern – den Augenblick erleben. Das Erstaunliche ist ja: Wer ganz im Moment ist, verliert das Bewusstsein für das Davor und das Danach, die Gegenwart dehnt sich ins Unendliche. Um solche Erfahrungen in aller Konsequenz zu machen, braucht es wohl eine sehr lange, vielleicht sogar ein ganzes Leben andauernde Übung. Das Prinzip aber kennen sicher die meisten, wenn sie versuchen, sich zu entspannen, zu meditieren und zur Ruhe zu kommen. Begriffe wie Achtsamkeit, Entschleunigung und Verzicht haben heute Konjunktur und so erscheinen Günter Zachariasens Bilder ebenso zeitlos wie aktuell. Beschrieben habe ich die Bilder, aber gesprochen habe ich – über die Zeit.

 

Dies sind einige meiner Eindrücke der Ausstellung Günter Zachariasen  Unendlich Jetzt – mit Vorwissen natürlich. Wie ergeht es Ihnen, welche Erfahrungen haben Sie vor den Bildern gemacht?

 

Dr. Pia Littmann, Co-Kuratorin der Ausstellung

 

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Abb.: Ausstellungsansichten Günter Zachariasen - Unendlich Jetzt, 2022, Museum Kunst der Westküste, Fotos: Lukas Spörl