Fragen an die Sammlung Von neuen Werken und alten Lieblingen

Die Sammlung des Museums Kunst der Westküste hat vor Kurzem Zuwachs bekommen. Im Gespräch mit Dr. Katrin Hippel, wissenschaftlicher Mitarbeiterin im Museum, spricht Praktikantin Jule Bauder über das neue Werk und die Besonderheiten der Sammlung.

 

Hallo, Katrin! Was ist das für ein Werk, das neu in die Sammlung gekommen ist?

 

Das ist ein Werk des norwegischen Künstlers Rune Guneriussen. Er arbeitet an der Schwelle von Fotografie, Installationskunst und Skulptur. Rune war 2018 als Artist-in-Residence bei uns im Museum zu Gast. Dabei hat er eine neue Werkserie mit dem Titel Lights Go Out begründet, die er später in Dänemark und vor allem in Norwegen fortgesetzt hat. Anfang des Jahres war diese neue Serie bei uns in einer Ausstellung zu sehen. Darunter war auch diese Fotografie, die nun neuer Bestandteil unserer Sammlung ist.

 

Es war nämlich so, dass wir uns im Nachgang der Ausstellung Lights Go Out und der sehr guten Zusammenarbeit eine Fotografie aussuchen durften. Das Werk ist also ein Geschenk, das uns Rune Guneriussen gemacht hat, worüber wir uns sehr freuen.

 

Die Frage war natürlich: Welches Werk nehmen wir? Wir haben uns am Ende für ein Werk mit einem norwegischen Motiv entschieden, denn der überwiegende Teil der Serie Lights Go Out ist in Norwegen entstanden. Nicht nur in dieser Hinsicht repräsentiert das Bild die Serie sehr gut. Es zeigt ein Geflecht aus Schnüren und Pflöcken, das eine Fjordlandschaft überzieht. Rune geht es auch darum, wie der Mensch seine Landschaft, seine Natur und seinen Planeten vereinnahmt. Diese Beobachtung wird in diesem Werk sehr greifbar.

 

 

Was ist mit den anderen Bildern dieser Serie passiert?

 

Vor der Ausstellung sind sie in großen Holzkisten mit einem Kunsttransport aus Norwegen gekommen. Genauso sind sie wieder zurückgereist und längst wieder wohlbehalten beim Künstler eingetroffen.

 

Nach welchen Kriterien wird entschieden, ob Werke in die Sammlung gelangen?

 

Unsere Sammlung konzentriert sich auf Kunstwerke der vier Nordseeanrainerstaaten Norwegen, Dänemark, Deutschland und Niederlande vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. Thematisch steht das Generalthema „Meer und Küste“ im Mittelpunkt – ein recht spezieller Rahmen also.

 

Natürlich gibt es Künstler*innen in der Sammlung, die wir gerne mit weiteren Werken stärken wollen: Max Liebermann oder die Skagenmaler*innen bilden z. B. bedeutende Sammlungsschwerpunkte. Das heißt aber nicht, dass nichts anderes in die Sammlung kommt. Ganz im Gegenteil: Natürlich möchten wir das Thema „Meer und Küste“ ganz vielfältig beleuchten. So wie es die Künstler*innen zu allen Zeiten eben auch getan haben.

 

Wir sind ein privates Stiftermuseum, aber man muss ganz klar sagen, dass wir keinen Etat haben, mit dem wir „einkaufen“ gehen können. Den hat kaum ein Museum. Aber wenn wir denken, etwas passt wunderbar in unsere Sammlung, können wir Wünsche äußern. Anschließend muss man schauen, ob der Wunsch realisierbar ist. Dabei sind wir nicht zuletzt auch auf Zustiftungen angewiesen.

 

 

Du hast jetzt Schenkungen, Zustiftungen und eigene Erwerbe erwähnt. Gibt es weitere Wege, wie Werke in die Sammlung gelangen?

 

Ja, es gibt außerdem noch den Fall, dass uns zu unserem Schwerpunkt passende Werke als Dauerleihgaben erreichen. Eine schöne Win-Win-Situation: Die Besitzer*innen haben einen Platz, wo die Werke konservatorisch gut und sicher aufbewahrt sind und wo sie von Menschen gesehen werden. Wir dürfen uns auf Zeit über eine schöne Ergänzung unserer Sammlung freuen.

 

Derzeit zeigt das MKdW die Ausstellung Provenienzgeschichten – Max Liebermann im Fokus, in der es um die Herkunft und Reisen von Werken geht. Werden diese Vorgeschichten miteinbezogen und geprüft, bevor Werke in die Sammlung gelangen?

 

Ja. Zunächst schauen wir in den einschlägigen Provenienz-Datenbanken, zum Beispiel in der Lost-Art-Datenbank, ob ein Werk als vermisst gemeldet ist. Außerdem bekommt man meist über den Kunsthandel ein paar Informationen: Wenn ein Auktionshaus ein Werk in die Auktion gibt, liefert es oft Provenienzdaten mit, denn sie haben z. T. angestellte Provenienzforscher*innen am Haus. Im besten Fall startet man also bereits mit einigen Angaben und kann sich so einen Überblick verschaffen. Diese Arbeit ist aber natürlich nicht abgeschlossen, wenn das Werk im Museum angekommen ist. Dann versuchen wir immer weiter, die Fehlstellen zu schließen, denn eine lückenlose Provenienz ist bei alter Kunst in den wenigsten Fällen nachzuweisen. Das ist viel Arbeit und ein stetiger Prozess.

 

Gibt es ein bestimmtes Vorgehen, wenn ein Werk neu in die Sammlung kommt?

 

Naja, erst einmal muss man dafür sorgen, dass das Werk überhaupt ankommt. Man muss also einen mehr oder weniger aufwendigen Transport organisieren und vielleicht den Zoll bedenken. In der Zeit, bis das Kunstwerk ankommt, gehen wir auf die Suche nach allen Informationen, die wir finden können. Das können Eckdaten wie Originaltitel oder Technik sein, aber auch Infos zu Motiv und Künstler*in.

 

Wenn das Werk dann hier ankommt, ist das immer ein ganz besonderer Moment für uns. Denn oft kennen wir es bis dahin selbst nur von Abbildungen und nicht „real“. Und als realer Gegenstand wird das Kunstwerk dann untersucht. Unser Restaurator stellt sicher, dass der Transport keine Schäden hinterlassen hat. Das Werk wird vermessen und fotografiert. Alle Details wie der Rahmen oder Infos auf der Rückseite werden erfasst. So wird der Neuzugang für die Inventarisierung vorbereitet, also für das Einpflegen in unsere digitale Datenbank. Hier entstehen richtige „Werkakten“, die immer weitergeführt werden für unsere Forschung.

 

 

Als das Museum eröffnet wurde, umfasste die Sammlung um die 500 Werke. Inzwischen hat sie sich verdoppelt. Ist ein solcher Zuwachs normal?

 

Die Ausgangslage ist besonders, weil wir mit einer übersichtlichen, sehr erlesenen Sammlung gestartet sind. Historisch gewachsene Sammlungen haben im Vergleich immense Werkzahlen. Eine Verdoppelung der Sammlungswerke ist natürlich toll, aber sie ist immer auch gemessen an den absoluten Zahlen zu bewerten und relativiert sich damit.

 

Dennoch: Über 500 Werke Zuwachs – das ist beachtlich. Wir erweitern die Sammlung aber natürlich mit Bedacht. Es wird nicht wahllos irgendetwas ins Haus geholt, sondern die Neuzugänge haben den engen Bezug zu unserem Thema, zu den besonderen Interessen des Museums.

 

Im Museum gibt es keine Dauerausstellung. Warum ist das so?

 

Wir haben gerade von einer erlesenen Sammlung gesprochen, aber 1000 Werke bleiben immer noch 1000 Werke, die wir in unseren Ausstellungsräumen natürlich nicht alle gleichzeitig zeigen können. Zwar  wäre es denkbar, dauerhaft ein „Best-of“ unserer Sammlungswerke zu zeigen, aber auch dann wären unsere Räumlichkeiten damit recht gefüllt und weiterhin würde manche*r Besucher*in den Liebling vermissen.

 

Was uns sehr freut, ist dass viele unserer Besucher*innen immer wiederkommen: Denen wollen wir natürlich neue Anreize bieten. Gleichzeitig, so merken wir, wurde das Thema Meer und Küste von Künstler*innen aller Zeiten viel vielfältiger behandelt, als das eine Dauerausstellung transportieren könnte. Also wechseln die Ausstellungen, um dieser Vielfältigkeit Rechnung zu tragen, und letztlich auch, um aktuelle Themen aufgreifen zu können.

 

Und manchmal gibt es im Detail auch handfeste konservatorische Gründe. Ein Werk auf Papier z. B. kann nur wenige Wochen am Stück Licht vertragen, danach muss sich das Material im Depot in der Dunkelheit erholen. Denn sonst passiert das, was man auch von alten Zeitungen kennt: Sie werden braun und spröde. Es sind also am Ende mehrere Gründe, die zusammenspielen.

 

Du hast meine nächste Frage nun schon vorgegriffen. Was passiert mit den Werken, die nicht ausgestellt sind?

 

Die Werke, die nicht ausgestellt sind, lagern im Depot. Bislang wussten nur wir vom MKdW, was dort genau zu finden ist. All unsere Werke möchten wir nun nach und nach in unserer Datenbank Sammlung Online virtuell auffindbar machen. Von unseren rund 1000 Sammlungswerken sind bereits 240 online. Wir sind stolz drauf, dass in jedem Eintrag unsere besondere Recherche steckt. Z. B. hat nahezu jeder Eintrag einen beschreibenden Text unserer Wissenschaftlerinnen. Ich glaube, das ist für viele Leute ein Gewinn: natürlich für alle interessierten Laien, aber auch für das Fachpublikum und Mitarbeiter*innen anderer Museen.

 

 

Werden Werke, die derzeit nicht in den Ausstellungsälen zu sehen sind, teilweise auch entliehen?

 

Klar. Es gibt einen richtigen Leihverkehr, so nennt man das. Wir geben unsere Sammlungswerke also auf Reisen, damit sie in Wechselausstellungen anderer Museen zu sehen sein können. Aber auch wir selbst empfangen ausgeliehene Kunst aus anderen Museen hier auf Föhr mit Spannung.

 

Gibt es ein Werk, zu dem du eine besondere emotionale Verbindung hast?

 

Die Frage nach dem Lieblingswerk wird mir öfter gestellt. Ich glaube, sie ist für unsere Besucher*innen manchmal viel einfacher zu beantworten als für mich, die sich täglich mit der Kunst beschäftigt. Es fühlt sich ein bisschen so an, als müssten sich Eltern zwischen ihren Kindern entscheiden – welches sie am liebsten haben. Die Werke sind so unterschiedlich. Sie entstanden zu unterschiedlichen Zeiten, haben unterschiedliche Bedeutungen. Tut mir leid, es würde mich sehr quälen, hier nur eins auswählen zu müssen.

 

Vielen Dank Katrin, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast.

 

Sehr gerne!

 

 

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Abb.: von oben nach unten

Titelbild: Rune Guneriussen, Reminiscence of us, 2021, Museum Kunst der Westküste

Rune Guneriussen, Reminiscence of us, 2021, Museum Kunst der Westküste

Ausstellungsansicht Provenienzgeschichten - Max Liebermann im Fokus, 2022, Museum Kunst der Westküste, Foto: Lukas Spörl

Ausstellungsaufbau, 2022, Museum Kunst der Westküste

Max Liebermann, Wäschetrocknen - Die Bleiche (Bildrückseite), 2022, Museum Kunst der Westküste, Foto: Lukas Spörl

Sammlung Online, 2022, Museum Kunst der Westküste

Katrin Hippel und Rune Guneriussen vor Reminiscence of us, 2022, Museum Kunst der Westküste, Foto: Lukas Spörl