Hohe Wolkenberge, aufziehender Regen und andere Wetterphänomene sind fester Bestandteil im Werk des Malers Jochen Hein. 1960 in Husum geboren, in Hamburg ausgebildet und heute in der Hansestadt sowie am Comer See tätig, war Jochen Hein 2016 das erste Mal zu Gast im Museum Kunst der Westküste.
Seit 2010 lädt das Museum immer wieder Künstler*innen ein, nach Föhr und Alkersum zu kommen. Aus diesen Aufenthalten ergeben sich spannende Kunstwerke, die auf ganz unterschiedliche Weise entstehen, doch oft miteinander zu kommunizieren scheinen. In der Ausstellung „Über das Sichtbare hinaus – Jochen Hein und Miguel Rothschild“ treten die Werke Heins und die des argentinischen Künstlers Miguel Rothschild, der ebenfalls eine Artist Residency auf Föhr verbrachte, in den Dialog. Doch wie genau kann der Arbeitsprozess eines Künstlers, der im Museum zu Besuch ist, aussehen? Und wie kann seine Herangehensweise an die Insel, ihre Natur und ihr Wetter, vielleicht auch unseren eigenen Blickwinkel verändern?
Einblicke in ein Gespräch zwischen Museumsdirektorin Prof. Dr. Ulrike Wolff-Thomsen und Jochen Hein verraten mehr über seine Arbeitsweise, die Zeit auf Föhr und gewähren einen Blick hinter die Kulissen.
Die nordfriesische Insel als Arbeitsraum ist ein ganz besonderer. So fragt Wolff-Thomsen den Künstler: „Was reizt dich hier an der Insel, an diesem Zwischenraum zwischen Meer und Land und doch nicht Festland?“ Hein zeigt sich beeindruckt von seinem ersten Besuch auf der Insel und ist besonders von der Ursprünglichkeit der Natur fasziniert. Föhr erinnert ihn „ein bisschen platt ausgedrückt [an] Nordfriesland vor 50 Jahren“, wo „die Begegnung mit dem hohen Himmel wirklich vorhanden“ ist. Die offene Landschaft inspirierte ihn und gab den Anstoß für einige Arbeiten mit dem Fokus ‚Himmel‘.
Der Himmel und seine ständig wechselnden Wolken bilden auch ein zentrales Motiv der Ausstellung. Gerade diese bringen allerdings auch Herausforderungen mit sich. Hein bezeichnet die Wolken, die oft vage und unklar sind, als ein eigentliches „Un-Thema“, das schwer einzufangen ist. Doch genau dieser Prozess, der in die „Unförmigkeit die Form bringt,“ reizt den Künstler. Er versucht „in all diesen Erscheinungsformen der Natur […] eine Art der Bedeutung zu finden, dass das nicht umsonst so ist, dass das eine Wirkung haben muss“.
Diese Wirkung, die uns als Betrachtende in Kontakt zu den Werken bringt, wird mit dem Titel der Ausstellung zum Ausdruck gebracht. ‚Über das Sichtbare hinaus‘ signalisiert, wie weit mehr als nur unser optischer Sinn angesprochen wird, der „uns nicht weiter oder tiefer als auf die Oberfläche“ führt, so Hein. Denn die ist „nur mit den geistigen Leistungen zu durchdringen […]. Was wir sehen und verarbeiten, findet im Hirn hinter den Augen statt.“ Ein zentrales Thema bei Heins Arbeit ist dementsprechend „die eigene Empfindung im Verhältnis zur Welt“.
Genau dieser Thematik begegnet man beim Besuch der Ausstellung, denn beim Betrachten der Werke entsteht „dieses Gefühl von Vertrautheit“, wie Wolff-Thomsen anmerkt. Denn obwohl Heins Gemälde „keine Bilder sind, die eins zu eins das Naturbild abbilden, sondern […] Naturräume, die in [seinem] Atelier entstanden sind“, wecken sie, auch im unmittelbaren Kontakt zu der Natur und den Wetterphänomenen der Insel, etwas Bekanntes in uns. „Wenn das passiert,“ sagt Hein, „wenn das so funktioniert, wenn die Leute sagen: ‚Das kenne ich!‘ – dann fühle ich mich natürlich auf wundervolle Weise bestätigt, dass ich da etwas geschafft habe. Etwas zu fassen, was auf diese Art und Weise nicht nur für mich bedeutsam ist, sondern auch jemand anderes anspricht.“
Ein weiteres Motiv, mit dem Hein diese Verbundenheit gelingt, und das auf Föhr besonders zu erleben ist, ist das Meer. Für Hein ist es „das, was größer als wir selbst [ist]. Es umspannt die ganze Welt und hat überall seine wechselnden Aggregatzustände, ist überall spannend und man findet trotzdem überall wieder gleiche Eindrücke. Das heißt, es hat universale Aspekte, die auch die Menschen universell ansprechen und das Bedürfnis, mit etwas Größerem als sich selbst in Kontakt zu treten.“
Diese Monumentalität und das Gefühl des Erhabenen ziehen sich durch Heins Werke. Wolff-Thomsen fragt nach der Absicht dahinter: „Hast du die bewusst in deine Werke eingeschrieben oder ist das in der Natur der Sache?“ Es ist durchaus eine Frage der Komposition, so Hein. Man muss wissen, „wie man das formal aufbaut, muss es dann aber mit Leben füllen und dann muss es auch die Menschen irgendwie so anrühren“. Wie der Himmel voller Wolken oder die Gischtkronen auf dem Meer, die uns so vertraut erscheinen.
Wolff-Thomsen beschreibt außerdem „die sich schnell abzeichnenden ständigen Witterungsveränderungen, die stetig sich wechselnden Wolkengebilde“ oder „eine schwere Wetterfront“, die aufzieht oder bereits Unwetter bringt. So rücken die Ausstellung und Heins Werk auch in den Fokus, was Menschen an der Küste und auf den Inseln gut kennen. Hein weiß: „Für einen Nordfriesen ist das wohl das, was man am meisten wahrnimmt und dem man am Ehesten aus dem Wege geht.“ Doch er macht auch aufmerksam auf den großen Bestandteil, den etwa ein Regenschauer in unserem Dasein hat: „Ich bin mein ganzes Leben, soweit ich mich erinnere, von klein auf im Alter von vier Jahren bis heute eigentlich immer wieder verdutzt, wie ein Regenschauer auf einen zukommt und über einen hinweggeht. Überall auf der Welt, immer wieder neu und immer wieder. Wenn man sich dann die Zeit nimmt, der Sache mal Raum zu geben und das wahrzunehmen, ist das ungeheuer spannend.“
Die uns allen bekannten Motive von Himmel und Wolken, dem Meer und einem plötzlichen Regenschauer, ziehen sich also sowohl durch Jochen Heins Œuvre, als auch durch das von Miguel Rothschild. Sie veranschaulichen, wie Werke, die im Zusammenhang mit dem Artist-in-Residence-Programmes auf Föhr entstanden sind, aber auch unabhängig davon, miteinander in den Dialog treten und uns, als Betrachtende, so neue Perspektiven eröffnen. Sie ermuntern uns in unserer Umwelt, in der Natur und den Wetterphänomenen, die unser Leben stetig begleiten, Neues und Vertrautes (wieder)zu entdecken. Und vielleicht verändern sie auch unsere Sichtweise auf den altbekannten Lebens- oder Urlaubsort, der plötzlich in neuen Facetten erscheint.
Wenn Sie noch mehr über Jochen Heins Werke erfahren und auch einen Einblick in die Arbeit von Miguel Rothschild bekommen möchten, erkunden Sie gerne unsere App „MKdW on tour“ und die zur Ausstellung gehörende Audio-Tour.
Die Ausstellung „Über das Sichtbare hinaus – Jochen Hein und Miguel Rothschild“ ist noch bis zum 11. Januar 2026 im Museum Kunst der Westküste zu sehen.
Abbildungen von oben nach unten:
Jochen Hein, Brandung, 2023, Courtesy of the Artist
Jochen Hein, Hoher Himmel, 2023, © Museum Kunst der Westküste, Foto: Lukas Spörl
Jochen Hein, Expecting Rain, 2023, Courtesy of the Artist