Ein ganz besonderes Erlebnis

„Eine Insel ist doch langweilig. Da ist nichts los. Da kann man doch nur im Sommer Spaß haben. Die sind dort bestimmt alle voll wortkarg, typisch Norddeutsch. Überall nur Meer, das ist doch total eintönig, oder?“

 

Ja, all solche Kommentare hat man schon oft gehört, wenn man auf der Insel Föhr lebt. Und was antworten Föhrer darauf? Alles Quatsch! Und ob wir hier Spaß haben können? Ich würde sogar behaupten: Wir lassen es im Winter richtig krachen! Selbst wenn nichts los ist, sorgen wir eben dafür, dass etwas los ist!

 

Genau diese Erfahrung konnte auch der Fotograf Andreas Jorns machen, als er im Winter 2019/20 das erste Mal auf die Insel kam, um sein neues Fotoprojekt über uns Jugendliche auf Föhr zu machen. Er wollte diesen Gerüchten nachgehen: Sind wir einsam? Fühlen wir uns gelangweilt im Winter? Was machen wir den lieben langen Tag?

 

Das zeigten wir ihm nur allzu gerne. Bei seinem Besuch in unserer Schule lernte er uns besser kennen. Wir erzählten ihm von unseren Traditionen und Aktionen, von denen wir einige haben! Und er begleitete uns, kam mit zur Lütten Hütte, die berüchtigt ist für ihre guten und wilden Partys, schaute einigen bei ütj tu kenknin[1] über die Schultern und besuchte den Zirkus Mytilus, mit seinen akrobatischen Aufführungen. Und dabei wollte er nicht eine gestellte Seite sehen, sondern echte, authentische Eindrücke gewinnen.

 

Andreas Jorns, Weihnachtsfeier in Boschmeierhausen, Föhr 2019/20, © Courtesy of the artist

 

Auch mich besuchte Andreas Jorns zu Hause, um mich besser kennenzulernen. Ich liebe das Lesen über alles und ohne Buch sieht man mich selten. Ob im Schulrucksack, im Sommer am Strand oder wenn ich meinen anderen Hobbys nachgehe, ein Buch ist immer dabei. Es gibt für mich nichts Schöneres als beim Lesen in eine andere Welt abzutauchen. Genau das spiegeln Andreas Fotos von mir wieder. Er fotografierte mich mit einem Buch in der Hand und wie ich gedankenversunken aus dem Fenster schaute. Am Anfang war ich etwas eingeschüchtert von der Kamera. Ich war es nicht gewohnt, beim Lesen fotografiert zu werden, aber Andreas redete durchweg mit mir, lenkte mich ab und schaffte es, das eine oder andere Foto zu schießen. Dabei lächelte ich sogar!

 

Andreas Jorns, Clara, Januar 2020, © Courtesy of the artist

 

Natürlich wollten wir auch gerne mal die eine oder andere Aufnahme sehen, aber Andreas hielt sie verschlossen. Also mussten wir uns bis zur Ausstellung im Museum Kunst der Westküste gedulden, die eigentlich schon 2020 eröffnet werden sollte, aber aufgrund einer gewissen Pandemie verschoben wurde, von der sicher der eine oder die andere schon gehört hat.

 

Doch das machte das ganze Projekt nur noch interessanter, denn jetzt kamen neben der angeblichen Einsamkeit hier auf der Insel auch noch Abstandsregeln und Kontaktverbote hinzu. Was sollten wir denn jetzt machen? Na, trinken mit Abstand! Spaß haben konnte man auch ohne sich nahe zu sein. Wir sind schließlich kreativ.

 

Andreas Jorns, Circus Mytilus Zirkus AG der Eilun-Fer-Skuul & Grundschule Föhr Land, Nieblum, Januar 2020 © Courtesy of the artist

 

Im November 2020 kam Andreas Jorns ein weiters Mal auf die Insel und nahm uns nun auch mit Masken und Abstand auf. Er fotografierte Freunde am Strand und auch die traditionellen Föhrer Trachten durften auf keinen Fall fehlen. Motive, die man sonst eher nicht am Strand findet, wie ein Schlagzeug im Watt oder eine Golfspielerin, die ihre Bälle Richtung Meer schoss, zeigen nicht einfach nur unsere Freizeitaktivitäten, sondern machen auch unsere Verbundenheit zur Insel deutlich.

 

Andreas Jorns, Fynn, Hedehusum, November 2020, © Courtesy of the artist

 

Nach langem Warten war es dann endlich so weit. Zwei Jahre, nachdem das Projekt des Fotografen aus Haan bei Düsseldorf begonnen hatte, kann man nun endlich das Ergebnis in der Ausstellung Inseljugend - Andreas Jorns im Museum Kunst der Westküste anschauen. Aus den Tausenden von Bildern haben Andreas und Pia vom MKdW eine repräsentative Auswahl getroffen. Ob in Schwarz-Weiß oder Farbe, ab sofort kann man sich das Leben der Jugendlichen der Insel Föhr ganz genau ansehen. Und das ist alles andere als trist, einsam und langweilig.

 

Von bewegenden über wunderschönen bis hin zu total lustigen Aufnahmen ist alles dabei! Als Hauptdarsteller dieser Fotoserie durften wir Schülerinnen und Schüler uns die Ausstellung als eine der ersten Gruppen angucken und dafür fiel sogar die Schule aus. Wir hatten einiges zu lachen, zeigten auf Personen, die wir wieder erkannten oder Freundinnen, die super witzig in den Bildern aussahen. Wir waren aufgeregt uns plötzlich selbst auf einer Fotografie in der Ausstellung im Museum zu sehen. Wie sehr man sich in zwei Jahren doch verändern kann! Obwohl scheinbar so viel Zeit vergangen war, fühlte es sich an, als wären die Aufnahmen erst gestern gemacht worden.

 

Ausstellungsansicht Inseljugend - Andreas Jorns, © Foto: Lukas Spörl

 

Ich persönlich kann mich noch ganz genau an das Foto am Strand erinnern, welches auch in der Ausstellung gezeigt wird. Andreas hatte mich aufgefordert, so viele Bücher mit an den Strand zu bringen, wie ich nur tragen konnte und hatte lauthals angefangen zu lachen, als ich mit mehreren Taschen und den Fahrradkorb voll mit Büchern angefahren kam. Diese haben wir dann um mich herum auf dem Steg am Nieblumer Bohlenweg drapiert. Eines der Bücher sollte ich mir schnappen und einfach lesen, den Rest würde Andreas übernehmen. Ich habe seine Anweisungen sehr ernst genommen und teilweise sogar fast überhört, weil ich so in mein Buch vertieft war! Auch dieses Bild durfte ich vorab nicht sehen. Als ich dann im Museum davorstand, konnte ich es kaum glauben, dass ich auf einem Bild tatsächlich mal hübsch aussehen konnte! Denn mal ehrlich: die wenigsten finden sich auf Fotos wirklich ansehnlich.

 

Andreas Jorns, Clara, © Courtesy of the artist

 

Aber natürlich geht es in der Ausstellung um viel mehr als nur die Fotos, die gezeigt werden. Mit dem ganzen Projekt wollte Andreas etwas bewirken, was er sehr gut geschafft hat: Er erzählt unsere Geschichte. Nicht nur die von Föhr, sondern unsere ganz persönliche Geschichte.

Mal ehrlich, nicht viele interessieren sich für die Aktivitäten von ein paar Jugendlichen auf einer Insel. Doch während dieser Reise lernte Andreas Jorns uns immer besser kennen und hörte sich unsere Gedanken an. Es wurde deutlich, dass an manchen Worten doch auch etwas dran ist: Manchmal ist es wirklich etwas einsam hier und man wünscht sich, einfach mal hier wegzukommen und was anderes zu erleben. Nicht immer nur die Insel zu sehen und egal wohin man geht immer am Meer zu enden. Denn von einer Insel kommt man nicht mal soeben runter, man ist immer auf die Fähre angewiesen und somit an bestimmte Fahrzeiten. Und wenn man sein ganzes Leben auf der Insel verbracht hat, dann sehnt man sich irgendwann auch danach, mehr von der Welt zu sehen. Da kann die Gemeinschaft hier noch so schön sein, mit all den Freunden, der Familie und dem Gefühl, immer jemanden zu haben, mit dem man über alles reden kann. Doch wenn man eine Weile weg war, dann ist es auch wieder schön zurückzukommen, in seine Heimat.

 

Föhr ist mehr als eine Insel, es ist unser Zuhause. Ein Zuhause mit Geschichte(n) und Traditionen. Ein Zuhause, das uns prägt und worauf wir stolz sind. Außenstehende verstehen oft nicht, was man damit meint und was die Gemeinschaft für uns bedeutet. Wir sind schließlich nur eine Insel, umgeben vom Wattenmeer. Nicht mal Freizeitparks, coole Schwimmbäder oder ein tolles Einkaufszentrum haben wir. Und klar, manchmal vermisst man das, aber das ist es eben, was unsere Insel ausmacht und womit man auch manchmal etwas angeben darf, eben mit weniger auszukommen.

 

Denn mal ganz ehrlich: Wie viele Menschen gibt es, die in Großstädten wohnen und wer kann schon von sich behaupten, von einer Insel zu kommen? Das hat schon einen gewissen Stil. Und jeder, der hier jahrelang gewohnt hat, der Föhr wirklich kennen gelernt hat, nicht nur die Urlaubssaison, der weiß was man meint, wenn man sagt, man ist im Herzen immer ein Föhrer. Egal wohin man auch geht, man weiß ganz genau, woher man kommt und wohin man immer zurückkehren kann. Denn das macht unsere Gemeinschaft halt aus: wir sind immer füreinander da.

 

Clara von Stülpnagel, 18 Jahre, Januar 2022

 

Ausstellungsansicht Inseljugend - Andreas Jorns, © Foto: Lukas Spörl

 

[1] Föhrer Silvesterbrauch, der ungefähr dem in Norddeutschland bekannten „Rummelpottlaufen“ entspricht. Die Kenkner schwärmen in der letzten Nacht des Jahres aus – auf Föhrer Friesisch heißt das „ütj tu kenknin“ – und ziehen bunt kostümiert von Haus zu Haus, Anm. der Redaktion.